Musik
Fans trauern um David Bowie
Bewegende Gedenkfeier in Berlin
(Quelle: Mario Graß)
Man hätte es ahnen können, als David Bowie in seinem letzten Video “Lazarus“, das nur wenige Tage vor seinem Tod Premiere feierte, an ein Krankenhausbett gefesselt spür-und sichtbar leidend singt: “Look up here, I'm in heaven / I've got scars that can't be seen“. Bowie trägt eine Bandage, die seine Augen verbirgt und an eine ägyptische Mumie erinnert. Als am Ende des Films der Beat des Songs wie ein Herzschlag verklingt, tritt der Musiker in einen dunklen Kleiderschrank, zieht vorsichtig die Tür hinter sich zu “¦ und ist verschwunden.
Dennoch traf der Tod von David Bowie seine Fans überall auf der Welt völlig überraschend und ließ eine bestürzte und trauernde Anhängerschaft zurück. Diese hatte in Berlin am Freitag Gelegenheit, sich im Rahmen einer Trauerfeier von ihrem Idol zu verabschieden. Bereits in den Vormittagsstunden bildete sich eine lange Menschenschlange, die sich zeitweise auf mehrere hundert Meter ausdehnte, vor dem Gebäude, an dem drei bedeutende Alben des Künstlers entstanden sind, denn David Bowie und Berlin verbindet eine besondere Geschichte. Von 1976 bis 1978 lebte der Sänger in der damaligen Mauerstadt.
Eine bunt gemischte Menschenmenge, bestehend aus Fans jeglichen Alters, versammelte sich während des gesamten Tages unter der hohen Decke des Meistersaals in den einstigen Hansastudios. Alle schauten gebannt auf die Großleinwand, auf der Bilder aus David Bowies langer Karriere gezeigt wurden und zu denen ununterbrochen die Musik des am 10.Januar verstorbenen Künstlers erklang. Sowohl die Fotos als auch die Songs spiegelten eindrucksvoll Bowies enorme und oft zitierte Wandelbarkeit wieder.
Ausgelaugt von den Anstrengungen seiner Tourneen, wie seines überbordenden Drogenkonsums, suchte Bowie Mitte der 1970er Jahre einen Ort, am dem er sich zurückziehen, erholen und neu inspirieren lassen konnte. Seine Wahl fiel auf Berlin, wo er anonymer und weniger aufgeregt leben konnte, als in seiner damaligen Heimat Los Angeles. Doch Berlin interessierte ihn auch in künstlerischer Hinsicht. Deutscher Expressionismus, die Ästhetik der Weimarer Zeit, die einzigartige historische und politische Situation der Nachkriegszeit, beeindruckten ihn.
“Seit meiner Zeit als Teenager war ich von diesen angstbeherrschten, emotionalen Werken der Expressionisten, sowohl der Maler als auch der Filmemacher, ganz fasziniert, und Berlin war ihre geistige Heimat. Diese Stadt war der entscheidende Ort der Brücke-Bewegung, hier wirkten Max Reinhard und Brecht, entstanden Metropolis und Caligari. Das war eine Kunstform, die das Leben nicht in Ereignissen, sondern in Stimmungen wiederspiegelte, und ich hatte das Gefühl, dass sich meine Arbeit in eine solche Richtung entwickeln würde“, äußerte sich Bowie zu seiner neuen Wahlheimat.
Bowie bezog eine Wohnung im Stadtteil Schöneberg, vor der sich seit Bekanntwerden seines Todes täglich Fans sammeln, Kerzen anzünden, Blumen, Bilder und Trauerbekundungen hinterlassen. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt und Nieselregen versammeln sie sich rund um die Uhr, um ihres Idols zu gedenken und lauschen seiner Musik, die aus mitgebrachten Lautsprecherboxen erklingt. Das Wetter erscheint für diesen Anlass durchaus angemessen. Bereits kurz nach Bekanntwerden der traurigen Nachricht äußerte ein Fan via Facebook: “Mein Herz ist gebrochen. David Bowie hat mich, wie unzählige andere, so sehr inspiriert. Ein trauriger Tag. Ich freue mich, dass es zumindest regnet.“
1969 erschuf David Bowie die Kunstfigur des Major Tom und landete mit “Space Oddity“ seinen ersten Hit, in dem er die Geschichte eines Raumfahrers erzählt, der die Kommunikation mit der Erde abbricht und sich fortan alleine durch das All treiben lässt. Viele Jahre später nimmt Bowie das Motiv in seinem Song “Ashes to Ashes“ wieder auf. Major Tom kehrt zurück, ihm geht es gut und er nimmt Kontakt mit seiner einstigen Bodenstation auf. Doch dort betrachtet man ihn als einen heruntergekommenen Junkie. “We know Major Tom's a junkie / Strung out in heaven's high / Hitting an all-time low“.
Gleich zu Beginn des zehnminütigen Videos zum Titelsong seines letzten Albums taucht nun erneut der Astronaut, eines der Leitmotive in Bowies Karriere, auf. Doch als das Visier seines Helmes vorsichtig hochgeschoben wird, kommt dahinter ein Schädel zum Vorschein, der sich im Verlaufe des Videos zu einer Reliquie entwickelt. Bowie, der sich im Verlaufe seiner jahrzehntelangen Karriere immer wieder neu darzustellen wusste und dabei Grenzen zwischen Genres, Stilen und Geschlechtern einriss, scheint selbst seinen Tod künstlerisch inszeniert zu haben.
Auf der Bühne im Meistersaal hatten die Organisatoren der Trauerfeier eine Art Altar errichtet. Ein großformatiges, gerahmtes und mit einer Trauerschleife versehenes Bild zeigte den strahlenden Künstler. Unmittelbar davor sorgten weiße Kerzen und Blumenbuketts, bestehend aus weißen Rosen, für die angemessene Atmosphäre. Zahlreiche von Besuchern mitgebrachte Blumen sollten in Tagesverlauf hinzukommen.
Eduard Meyer, Bowies Toningenieur in den Berliner Hansa Studios, war anwesend und hielt eine bewegende Rede. “Ich bin hier um Ihnen beizustehen und ich hoffe, sie stehen mir bei“, sagte er sichtlich bewegt, bevor er auf seinem mitgebrachten Cello seinen damaligen Part im Song "Art Decade" spielte.
Blickt man heute aus dem Fenster des Raumes gleich nebenan, in dem sich einst der Regieraum mit den Mischpulten befunden hat, blickt man ernüchtert auf eine Hauswand - ein Zeichen des Wandels, den Berlin in den vergangenen Jahrzehnten erfahren hat. Als David Bowie aus diesem Fenster schaute, fiel sein Blick noch auf die Berliner Mauer sowie einen Wachturm der DDR. Als er eines Tages vor dieser Kulisse ein sich küssendes Pärchen sah, war die Inspiration zu einem seiner größten Hits geboren. “Heroes“ beschäftigt sich damit, ob das Individuum seine Zukunft beliebig gestalten kann oder ob es sich fremdbestimmen lässt. Für den radikalen Individualisten Bowie ist die Antwort eindeutig: “We can be Heroes for ever and ever.“
“David Bowie was here“ hat ein Fan mit flüchtiger Schrift an der Hauswand in Berlin-Schöneberg hinterlassen. Schrift wie Worte drücken eine rührende, verzweifelte Hilflosigkeit aus, den Versuch etwas festzuhalten, was nicht mehr da ist. Wie kann eine angemessene Würdigung für David Bowie in der Stadt, der er einiges zu verdanken hat, genauso wie die Stadt ihm, aussehen? Mittels einer Online-Petition fordern Fans, eine Straße in Berlin nach dem Star zu benennen. Dies ist laut Berliner Straßengesetz jedoch erst möglich, wenn der Namensgeber seit fünf Jahren tot ist.
Von Seiten der Politik erfolgten aber auch bereits Signale, dass die Petition, die innerhalb kürzester Zeit tausende Unterzeichner fand, durchaus ernst genommen wird. Denkbar sei aber auch eine Stele oder eine Gedenktafel, um angemessen an David Bowie zu erinnern.
Vergessen werden wird David Bowie ohnehin nicht, dafür sind die Spuren, die er dank seiner enormen visionären Kraft hinterlassen hat, zu groß. Und in jedem Fall bleibt für immer die Erkenntnis, die auch auf der Schleife an Bowies Porträt auf der Bühne im Meistersaal zu lesen war: “We can be heroes, forever and ever!“
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